Freitag, 9. Januar 2015

Orhan, seines Zeichens Teppichdealer.

Liebe Schnitzelfreunde,
das Wohnzimmer war bisher das erklärte Problemkind der gesamten Wohnung. Das kennt ihr sicher. Man tüdelt sich die eigenen vier Wände irgendwie zurecht, hat sogar mal Möbel, die nicht mehr wackeln, eventuell sogar zuammenpassen, alles könnte so herrlich sein. Und dann, dann gibt es dieses eine Zimmer, das euch die Tour zu versauen versucht. Es steht so da und tut eigentlich gar nichts. Aber, verdammt nochmal, es nervt euch! Oft sind das die Zimmer, auf die man nicht so recht vorbereitet war. Huch, ein Wohnzimmer?! Wie geht denn SOwas? Was macht man denn DAmit? Und dann schubst man die Möbelstücke hinein, die einfach übrig waren. Heimatloses Gehölz ohne streng definierte Aufgabe. Das Zimmer ist gefüllt, es tut auch tapfer so, als gehe es zumindest halbwegs in seiner Rolle auf, doch ihr, ihr lasst euch nicht täuschen. Ihr seid clever. Ihr wisst, dass dieses hinterlistige Ding namens Wohnzimmer versucht, ungeschoren davonzukommen. Mit diesem halb garen, unausgereiften Konzept. Aber so nicht, nein, nein, nichts da! 

Ich liebe dramatische Posteinstiege. Merkt man das? Dabei möchte ich euch einfach nur erzählen, dass im Wohnzimmer seit drei Wochen ein neuer alter Teppich liegt, Dank dem ein wenig mehr Gemütlichkeit eingezogen ist. Das ist an sich nichts, was irgendwen die Bohne interessieren müsste. Ist okay. Ein Teppich halt. Nicht sehr aufregend. Vollkommen verständlich. Ich erzähl euch trotzdem mal, wie der Teppich den Weg vor unsere Couch gefunden hat. Weil das nämlich sehr viel interessanter ist.


Protagonist in der Teppichgeschichte ist Orhan. Darum steht er auch im Titel. Ohne Orhan wäre das alles nicht passiert. Nein, ohne Orhan wäre hier GAR NICHTS passiert. Vorhang auf. Franzose und ich schlendern also samstags über den Flohmarkt. Wie so oft auf der Suche nach überhaupt nichts. Das ist selten eine gute Idee. Das bedeutet nämlich, wir sind offen für alles. Und auch für groben Unfug. Ihr seht gerade die Titanic sinken, bevor sie aus dem Hafen gelaufen ist, es tut mir leid. Jedenfalls stehen wir kurz vor Schluss vor einem sehr großen Teppich und staunen ihn an. Nur ein bisschen, denn perfekt ist er nicht. Wir staunen einen Augenblick zu lang, denn auf einmal steht Orhan neben uns, der uns ein Ohr abkaut, in gebrochenem Deutsch, dafür aber umso eifriger und geschäftstüchtiger. Franzose setzt seinen "Es-ist-sicher-Deutsch-aber-ich-versteh-kein-Wort"-Blick auf, den Orhan in seinem Eifer natürlich als geschickt getarnte Käuferstrategie interpretiert. Ich bin belustigt und spiele mit. Der Anfang vom Ende.

Ich zerre Franzose vom Flohmarkt. Sein Handy beherbergt zu unser aller Überraschung Orhans Nummer. Wir sollen ihn anrufen und morgen früh (Sonntag!) Teppiche anschauen, die genauso groß, aber viiieeel schöner sind als der, der grad noch zu unseren Füßen lag. Orhan hat Glück, wir sind lustig gestimmt. Ich rufe an, verstehe noch weniger als in der Live-Vorstellung und rede daher einfach fröhlich drauflos. 


Am nächsten Morgen: Franzose überlegt. S-Bahn oder Fahrrad? S-Bahn kostet Geld, Fahrrad ist wenig teppichkompatibel. Egal. Ist ja eh nur Spaß. Also radeln wir los, quer durch die Stadt, Schubrakete in Richtung Pampa. Am vereinbarten Zielort, zumindest der, den ich meinte, verstanden zu haben, laufen wir orientierungslos umher. Franzose findet Orhan dann endlich an einer Backsteinwand. Er freut sich auf Türkisch und lotst uns zu einem weißen Transporter. Ein Zweisitzer, wie schön. Aber das ist alles kein Problem, denn Orhan hat an alles gedacht. Meine linke Pobacke darf auf einem Rattanhöckerchen gleich hinterm Schaltknüppel Platz nehmen, die rechte Pobacke muss sich den Beifahrersitz mit Franzose teilen. Na, dann wollen wir mal! Als wir vor einer langen Reihe an Garagen zum Stehen kommen, beschleicht mich das Gefühl, Orhans "Teppichlager" könnte eine klitzekleine Nummer winziger ausfallen als ich es mir ausgemalt hatte. Uuuund... Richtiiiig! Schwungvoll öffnet er Garage Nummer 3, in der selbstverständlich nicht nur Teppiche lagern. Eigentlich lagert dort nur ein einziger Teppich, er lehnt lässig an der Wand, und sonst jede Menge anderer Kram. Franzose und ich wechseln einen amüsierten Blick, Orhan erlöst derweil geschäftig die kabelumwickelte Perserteppichwurst, die daraufhin einfach und repräsentativ im Garagenhof zum Liegen kommt, und ich... ja, ich weiß auch nicht so genau. Mal sehen, was da noch so kommt, nech? Hmmmjoar, gar nicht mal so hässlich, der Teppich. Anders wär auch doof, denn wir opfern hier gerade unseren Faulenzersonntag. Es folgt eine wilde Verhandlung zwischen Orhan und mir. Übers Ohr hauen lassen wir uns nicht! Hin, her, hin, her. Nur ein einziger Teppich? Und ganz einwandfrei ist der ja auch nicht mehr! Oh wei, und all der Staub, der da drinstecken wird! Uuuuund zum Dritten. Der abgeschubberte Teppich aus einer Mietgarage in Frankfurt Eschersheim wechselt für einen zweistelligen Betrag samt Lieferdienst den Besitzer. Herzlichen Glückwunsch!


Ja. Was danach noch kam: Wir fahren mit Orhan, dem Rattanhöckerchen und der Kabelteppichwurst unter Inanspruchnahme sämtlicher Schleichwege Frankfurts zu uns. Es dauert, oh, wie es dauert. Meine linke Pobacke kündigt einen Krampf an. Orhan erzählt von Sommern in der Heimat, davon, dass Deutschland echt okay sei und er schon ganz zufrieden. Alle zehn Sekunden hüpft sein Anschnallgurt aus der Fassung. Zunächst steckt er ihn noch immer wieder geduldig zurück, bis es auch ihm irgendwann reicht und er sich einfach auf den Metallteil des Gurts draufsetzt. Dann sieht es wenigstens von außen noch so aus, als sei er angeschnallt. Clever. Im Hintergrund läuft Musik. Türkischer Tango. Lacht nicht, das war so. Wusstet ihr, dass es türkischen Tango gibt? Klingt super! Wir kommen an, Gottseidank! In der Wohnung hüpfe ich knipsend um die Teppichrolle herum und freue mich wie ein kleines Kind. Bis Franzose die herrenlosen Fahrräder erwähnt, die wir jetzt wieder abholen müssen... Vom anderen Ende der Stadt. Argh. Als wir zurückkehren, ist es bereits stockduster, aber nicht duster genug, um nicht zu merken, dass dieser schöne Teppich ECHT VOR STAUB FAST STEHT! Wir ergreifen erste kosmetische Maßnahmen und daher einen Tennisschläger (in Ermangelung eines Teppichklopfers) und stapfen entschlossen aus der Wohnung. Zwei Bänke auf dem Kirchenvorplatz müssen herhalten. Der Teppich wird über sie gestülpt. Wir kloppen wie die Berserker drauflos. Gib's ihm! Franzose hebt bärenstark die eine Seite des Teppichs hoch, so gut es eben geht - ich bin Rumpelstilzchen und schlage wild hüpfend mit dem Tennisschläger um mich. Dieser Lärm, dieser unfassbare Lärm. Und die große Kirche macht alles noch viel schlimmer, es hallt die gesamte Straße entlang. Bäm, bäm, BÄM! Erste Fenster erhellen sich, erste vorbeiwankende alkoholisierte Menschen feuern uns an, erste Nachbarn grüßen und finden uns unterhaltsamer als das Fernsehprogramm. Ich grüße sie mit hoch erhobenem Tennisschläger. Oookay, Zeit zu gehen... Der Teppich ist dann wohl jetzt sauber genug. Wir saugen noch, wir wischen, wir saugen erneut, und dann, dann liegt er endlich da, wo er liegen soll! Wahnsinn. Bester Sonntag des Jahres.


Toller Teppich. Echt. So, so toll.

Was gelernt?
 Einfach mal den Unfug mitmachen. Hehehe.
Orhan for President!

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