Freitag, 5. Dezember 2014

Zehn Bücher.

Liebe Schnitzelfreunde,
diesen Post oder eher diese Liste schulde ich seit zweieinhalb Monaten einer Freundin - der Eiskübel wollte mich nicht, die Bücher aber sehr wohl. Diese Büchernominierung verwundert mich kein Stück, schließlich haben wir uns zusammen durchs Studium gefummelt und sind am Ende beide stolz als Diplom-Literaturübersetzerinnen daraus hervorgegangen. "Krieg' ich locker hin, das", war meine erste Reaktion auf den Aufruf. Wir waren jahrelang mit so vielen Büchern in Kontakt. Wir sollten Bücher quasi atmen. Aber setzt euch mal auf den Hosenboden und wählt ganz bewusst aus der schieren Masse an Gedrucktem zehn Bücher, die euch wirklich was bedeuten. Egal, ob es "nur" zehn oder "ganze" zehn Bücher sind. Das wird jeder anders empfinden. Ich wollte ganz ehrlich sein, und ganz ehrlich gesagt wollte ich auch irgendwie gut dastehen mit meiner Liste. Oft passen diese beiden ja nicht so gut zusammen, nech? Schiet. Also bleibe ich bei 'ganz ehrlich' und pfeife auf 'gut dastehen'. Das macht die Entscheidung für jedes einzelne Büchlein trotzdem nur unbedeutend leichter.

1. I.M. - Connie Palmen
Ich hab's noch nicht einmal halb durch, es liegt jeden Abend neben dem Bett und wartet auf mich, und doch wusste ich schon am ersten Abend nach nur drei, vielleicht fünf Seiten, dass mich dieses Buch komplett fertigmachen würde, dass ich schrecklich verliebt war, mir die Augen ausheulen und vor Lachen am Boden herumrollen würde. So schamlos ehrlich schreibt sie, es ist wahnsinnig befreiend. Ihre anderen Bücher stehen längst auf meiner Wunschliste. Frau Palmen kann was. Sie berührt. Ich bin so froh, dieses Buch gefunden zu haben...

2. Schiffbruch mit Tiger - Yann Martel
Was für ein selten dämlicher Titel, und das Cover ist auch nicht so doll. So mein vorschnelles Urteil, als das Buch an einem Weihnachtsabend vor sicher zehn Jahren vor meinen Augen an jemanden verschenkt wurde. Viele Jahre später las ich es doch, und meine Güte, was machte dieses Buch mit mir? Zum ersten Mal im Leben brachte ein Buch mich dazu, während des Lesens laut zu lachen, mich geräuschvoll zu erschrecken oder emotionsgeladen mitzuzittern. Wer auch immer gerade neben mir saß, hatte stets seine helle Freude an diesem Spektakel. Sowas tun Bücher mit einem, wenn man sie zum rechten Zeitpunkt liest. Und dann ändert sich was. Innen. Da war irgendwas. Ein Mensch, ein Tiger, ein Boot. Kein Ausweg. Überleg, was du tust, oder du bist tot. Nutze die Chance. Wachse an deinen Aufgaben.

3. Das verborgene Wort - Ulla Hahn
Zu Tode geliebt und gelesen. Diese Sprache, die Geschichte, die Hauptfigur Hildegard Palm, das Umfeld, in dem sich alles abspielt. Liebster Satz aus der Buchbeschreibung: "Ihren Eltern ist Hilde verdächtig." Ich glaube, da erkenn' ich mich wieder. Vor ein paar Wochen habe ich Ulla Hahn dann bei 'Open Books' im Frankfurter Kunstverein zum ersten Mal in echt gesehen und gehört. Kluge Frau, neugierig aufs Leben und niemals überheblich. Als ich ihr meine Ausgabe des Buches zum Signieren reichte, schmunzelte sie kurz und merkte an, dass das ja wirklich etwas abgegriffen sei. Ja, so ist das halt mit Lieblingsbüchern, nech?

4. Sag es treffender - A.M. Textor
Mein bester Freund im Studium. Jeder besaß dieses Buch. Es wurde allgemein nur "Der Textor" genannt und war ein gutes Mittel gegen spontanen Hirnausfall und Kreativitätsblockaden in Übersetzungsklausuren. Es handelt sich recht banal um ein Synonymwörterbuch, ein Buch mit Verweisen auf sinnverwandte Wörter und Ausdrücke, in dem ich auch heute noch richtig gerne blättere. Manchmal einfach, um zu schauen, was die deutsche Sprache so alles auf dem Kasten hat. Ein paar der Verweise unter dem Begriff "genießen": sich erfreuen, ergötzen, delektieren, erbauen, begeistern, schwelgen, frönen, in die Vollen gehen, sich etwas reinziehen, zu leben wissen, es sich wohl sein lassen, voll auskosten... Das ganze Buch sollte man hier reintippen!

5. Die Zeit, die Zeit - Martin Suter
Verrückte Sache, diese Zeit. Und der alte Knupp in diesem Buch scheint einen an der Waffel zu haben. Oder etwa doch nicht? Die Zeit zurückdrehen? Geht das? Gibt es denn so etwas wie Zeit überhaupt oder haben wir sie erfunden? Wenn man sich drauf einlässt, kann man hier bei einem vollkommen wahnwitzigen Experiment mitfiebern. Na gut, das Ende des Romans fand ich ein bisschen beknackt, doch das tut der Sache keinen Abbruch. Martin Suter schreibt in angenehm 'sauberem' Deutsch, ohne dabei platt oder unoriginell zu sein. Der Mann könnte über leerstehende ostsibirische Fußmattenfabriken schreiben und ich wäre extrem interessiert. Alles wie immer gut konstruiert und spannend zu lesen.

6. Taxi - Karen Duve
Tollste Sprachkunst auch hier. Alles von Frau Duve ist wirklich lesenswert, ich falle vor ihrem Können auf die Knie. Das Buch ist, wie der Umschlag verlauten lässt, echt "komisch, erbarmungslos und ehrlich bis auf die Knochen". Und einfach hoch unterhaltsam. "Ich meldete mich auf eine Anzeige, in der nicht nur Taxifahrer, sondern ausdrücklich auch Taxifahrerinnen gesucht wurden. 1983 war es in Stellenanzeigen noch nicht üblich, jedem Beruf auch eine weibliche Endung anzufügen. Man tat es nur, wenn man andeuten wollte, dass man praktisch jeden nahm." Ich kaufte das Buch, weil es erstens von einer ursympathischen Dozentin empfohlen worden war und weil es mir zweitens während des Studiums gar nicht so unwahrscheinlich erschien, hinterher selbst mal als Taxifahrerin zu enden. Geisteswissenschaften halt.

7. Everything is illuminated - Jonathan Safran Foer
Ich weiß auch nicht. Das Buch ist super. So viele Spleens, so viele Verrückte, so viele Charaktere, die einen an der Klatsche haben. Und okay, traurig ist es am Ende auch. Macht nichts. Als ich den Film sah, fiel ich mittendrin aus Versehen vor Lachen von der Couch. Passiert auch nicht so oft.

8. Das andere Fremdwörter-Lexikon - Wolf-Ulrich Cropp
Herrlich. Ein Geschenk von einem damaligen Bekannten; Student der Physik und in einer Weise belesen, die zutiefst beeindruckend war. Er jonglierte wie selbstverständlich mit den ausgefallensten Fremdwörtern, und ich verstand ihn, fast immer. Wollte ich unsere teils komplett absurden Gespräche dann aber selbst auch durch Fremdwörter bereichern, kam ich ab und an ins Stocken: "Oh man, dafür gibt es ein Fremdwort, aber verdammt, wo isses hin in meinem Kopf?" Weil in dieser Hinsicht im Kopf also etwas nicht stimmte, gab's zum Geburtstag dieses tolle Lexikon. Für Menschen, die zuweilen seltsame Probleme mit Fremdwörtern haben. Falsch herum geartete quasi. Das Buch hilft dem, der grad nicht mehr weiß, dass der "Hausmeister" auch schicker "Concierge", "Portier" oder gar "Kastellan" heißen kann. Oder, dass man statt "selbstlos" auch "altruistisch" sein kann und man statt eines "selbstverständlich" auch total klug mit dem Lateinischen "eo ipso" daherkommen kann. Dass man echauffieren, föderieren, rekreieren und konsolidieren kann anstatt sich nur aufzuregen, sich zu verbünden, zu erholen und zu sichern. 

9. Die Entdeckung der Langsamkeit - Sten Nadolny
Ein Buch, das einen lehrt, bedächtig mit den Dingen umzugehen. Vorsichtig zu sein, mit anderen und auch mit sich selbst. Weil's gut tut. "'Johns Augen und Ohren', schrieb Dr. Orme an den Kapitän, 'halten jeden Eindruck eigentümlich lang fest. Seine scheinbare Begriffsstutzigkeit und Trägheit ist nichts anderes als eine übergroße Sorgfalt des Gehirns gegenüber Einzelheiten aller Art.'" Über jemanden, der lernt, sich so anzunehmen wie er ist und absolut okay zu finden. Fand ich mutig: "Ich bin langsam. Richten Sie sich bitte danach!"

10. tschick - Wolfgang Herrndorf 
Kennt man einfach, nech? Für mich das Buch, das nicht nur aber auch wegen der Umstände, unter denen es geschrieben wurde, so wahnsinnig laut dazu auffordert, einfach mal zu leben und den geilen Scheiß zu tun, den man halt tun möchte. Lasse reden, ist egal. Ich hab da jetzt Bock drauf. Komm mit, wie erobern die Welt! Und... man muss echt nicht von jedem gemocht und verstanden werden. Das lernt man ja zum Glück auch irgendwann.

Was gelernt?
Mehr gute Bücher, bitte! Bin dezent verknallt.
Und diese Liste von stepanini hat es mir dermaßen angetan, dass morgen erstmal der Buchladen geplündert wird. Und ihr so? Immer her mit der Bücherliebe.

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